Marc Freukes – Im Einklang mit der Natur
Alle reden von Nachhaltigkeit — Marc Freukes lebt sie. Aufgewachsen ist der „Tipianer“, wie man ihn seit einigen Jahren nennt, in ganz herkömmlichen gutbürgerlichen Strukturen. 1974 erblickt Freukes im nordrhein-westfälischen Mülheim an der Ruhr das Licht einer recht ausbalancierten Welt. Mit über fünfzig Prozent Grün- und Waldflächen bietet die Großstadt im Norden des bergischen Landes ein Sowohl-als-auch: Schwer- und Montan-Industrie ist dort reichlich angesiedelt, und trotzdem hat die viel Natur in und um sich. Das prägt Marc Freukes von klein auf.
Marcs Vater ist damals Jäger und nimmt den Steppke oft mit auf die Pirsch, wodurch in dem Jungen nicht die Waidmannslust erwacht, aber ein großes Interesse am „Draußen“. Zudem verstecken seinen Eltern gerne die Geschenke für den Filius im Wald, im Laub und an den Bäumen. »Das war etwas, was die total richtig gemacht haben«, meint er anerkennend. »Damit haben sie schon den Grundstein gelegt für eine starke Naturverbindung.«
Wehrdienst kommt für den pazifistischen jungen Mann nicht in Frage, drum leistet er nach dem Abi Zivildienst und studiert hernach ein paar Semester Wirtschaftswissenschaften. Er absolviert ab 1998 eine dreijährige Ausbildung zum Diplom-Golflehrer und erlangt seine A-Trainer-Lizenz. Anderthalb Jahrzehnte arbeitet Freukes erfolgreich an Golfschulen, betreibt nebenher einen Handel für Golfer-Bedarf und trainiert außerdem Mannschaften. Dann aber merkt er: So ein Leben ist doch nicht das Wahre für ihn. Bevor Burn-out und Depression ihm das Dasein versauen, beschließt er einen Kurswechsel.
Mit 39 Jahren steigt er nicht aus, er steigt um. »Die Suche nach der Einfachheit« kommt durch seine berufliche Situation. Auf Golflehrer hat er keinen Bock mehr, zumal er damals keinen neuen Job findet. Das Arbeitsamt kann ihm nicht weiterhelfen, und er will weder ein Hartz-IV-Fall werden noch anderen auf der Tasche liegen. Nach Sinnvollem ist ihm. »Als Golflehrer hat man jetzt nicht so viel Verantwortung wie etwa ein Polizist, eine Krankenschwester oder ein Arzt.« In der Natur geht es ihm schon immer besser als in seiner Mietwohnung für 700 Euro. Er entscheidet sich dafür, erst mal für einige Zeit in der Natur zu leben. 2013 ist das, da kündigt er im September seine Wohnung und zieht in den Wald.
Sein Interesse an Survival zählt zu den Zündfunken. Durch ein viertägiges Survival-Training wird er einst »angefixt«. Als echte Leseratte verschlingt er fortan Bücher über Natur und Wildnis, macht sich kundig mittels Videos im Internet und sammelt fleißig Wissen an, sodass er noch zu Zeiten als Golflehrer damit beginnt, entsprechende Kurse anzubieten. »Mir war klar, dass ich mehr lernen würde, wenn ich draußen lebe.«
Ihm wird auch bewusst, dass er sein Dasein auf keinen Fall verplempern will mit Malochen für das „Später-Leben“ Nur von einem Termin zum anderen hetzen und dabei krank werden, hat er dreimal in der Familie erlebt. »Meine Mutter hat dreimal geheiratet; alle drei Männer waren Unternehmer und hatten immer die Philosophie „Ich gebe heute Vollgas dafür, dass ich mir später den Lebensabend angenehm gestalten kann.“ Den haben die aber nie erlebt. Diese Ideologie habe ich schon von Kind auf kennengelernt und gesehen, dass das nicht das Gelbe vom Ei sein kann.«
Schon immer ist er auf der Suche nach wertvollem Tun. Mit dem, was er vorgelebt bekommt, ist er stets »im Zwist« und hinterfragt es. Aber er kennt einstweilen keine Alternative, wie er einen gewissen Komfort genießen kann, ohne viel Geld dafür auszugeben und sich den ganzen Tag um die Arbeit kümmern zu müssen. Einer Tätigkeit nachzugehen, die ihn nicht hundertprozentig erfüllt — nur zu dem Zweck, Geld zu verdienen —, dafür will er seine Energie nicht verschwenden.
Die investiert er lieber in Dinge, die ihm etwas bringen: Nahrung konservieren, Holz machen, Ofen bauen, Bollerwagen oder Kleider reparieren. »Die Dinge, die ich heute beruflich mache, dienen natürlich auch dazu, Geld zu verdienen, sind aber solche, die mir Spaß machen und die ich für sinnvoll erachte, mit dem Hintergedanken, dass ich den Leuten was wirklich Gutes und Grundlegendes mitgebe.« Golfschülern den ganzen Tag immer wieder die richtige Schlagtechnik zu erklären, ist für ihn eine relativ »unwichtige Betätigung«.
Naturverbundenheit ist hingegen bedeutend wichtiger. »Alles was wir heute nutzen, ist mal Natur gewesen«, sagt Freukes. Ihm kommt es darauf an, vorzuführen, wie man mit und in der Natur leben kann, ohne sie zu schädigen. Er will den Menschen auch die Angst nehmen vor der Natur und vor wilden Tieren. »Ob Wildschweine oder Wölfe — die haben Schiss vor den Menschen.« Die tun einem nix, weiß er, sind friedlich und wehren sich nur, wenn man ihnen Schlechtes will.
Seit Januar 2014 lebt er nun im Freien auf einem Grundstück bei Hammelbach nahe der hessischen Gemeinde Grasellenbach. Dort betreibt er eine Outdoor-Schule und schlägt zuerst ein Indianerzelt auf. Dieses Tipi bringt ihm seinen Spitznamen ein. Er baut eine Veranda und holt sich Wasser aus dem Bach, ein ausgehöhlter Baumstamm dient ihm da als Waschbecken. Aus dem einst angestrebten Jahr werden schließlich mehrere. Was folgt, ist »Hardcore«, wie er sagt. 7.500 Euro verdient er 2015 im Jahr und spart davon 3.000.
Vom Tipi wechselt Freukes 2017 in eine selbsterrichteten Jurtenhütte auf einer Holzkonstruktion, die ihn vor Nässe und Mäusen bewahrt. 18 Quadratmeter genügen ihm als Wohnraum, den er sich funktionell, aber gemütlich-urig eingerichtet hat: Ein Hochbett, ein mit Fellen belegtes Sofa und Regale hat er selber gebaut. In einem Ofen verfeuert er Holz und nutzt nachhaltigkeitsbewusst die Asche, indem er sie zu Pottasche auslaugt und siedet, wovon sich beispielsweise Reinigungsmittel gewinnen lassen.
Sein Wasser holt er mittlerweile im Kanister von einer Quelle hoch, und verbraucht bloß rund dreißig Liter in zwei Wochen. Er nutzt auch gesammeltes Regenwasser oder auch mal Schnee im Winter für Kochen, Trinken, Wäsche und Körperhygiene. Für die Notdurft hat er eine Kompostierbare Bio-Trockentoilette. Auch eine selbstgebaute Kühlvorrichtung steht ihm zur Verfügung, in den Boden eingelassen zum Hochziehen.
Marc Freukes ist kein totaler Zivilisationsflüchtling. Er hat seine eigenen Ansichten über gewisse Zustände im Gesellschaftssystem der Moderne, die ihn für manche als intellektuellen Anarcho und Querdenker kennzeichnen könnten, aber er ist kein spinnerter Einsiedler oder einzelgängerischer Sonderling. Freukes steht ungeachtet aller andersgelagerter Sichtweisen zu Themen wie etwa Erziehung und Schule fest auf dem Boden der Realität und lehnt die Errungenschaften der Technik in keiner Weise ab.
Zur Energiegewinnung dient ihm eine wiederum selber gebaute Solaranlage, denn Handy, Tabletcomputer und Windows 10 sind auch für ihn ein Teil des zeitgemäßen Lebens und benötigen Strom. Sogar ein kleines Auto hat er, mit dem er zum Beispiel seine Familie besucht oder hin und wieder in die nächstgelegene City gurkt, um essen zu gehen mit Freunden oder jene Güter einzukaufen, die nicht so simpel herzustellen sind wie ein Bärlauchpesto.
Das fängt bei Salz und Pfeffer an und geht hin zu Fleisch, das er selten, aber dennoch genießt (»im Winter mehr, im Sommer weniger«), weil er um die Wichtigkeit einer ausgewogenen Mischkost weiß. Dogmata, Absolutheitsdenken und Engstirnigkeit entspringen nicht seinem Naturell. Er predigt nicht, er führt und lebt nur vor, wie es durchaus ebenfalls möglich ist, sein Dasein zu gestalten.
Mobiltelefon und Laptop nutzt er, um zu seine Tagebücher und Wildnis-Bücher und -Kurse zu schreiben und Kontakt zu Familie und Freunden zu halten oder auch für Notfälle sowie um Vorträge und Pressetermine zu organisieren. »Ich verzichte nicht komplett auf moderne Hilfsmittel.« Ansonsten lebt der Homo naturalis Marc Freukes ganz und gar im Einklang mit der Natur. Kräuter wie Schafgarbe, Spitzwegerich, Johanniskraut oder Lindenblüten, Beifuß und Acker-Schachtelhalm nutzt er für seine Gesundheit. Für ihn wächst die Apotheke vor der Haustür.
Seine Mutter und sein Bruder kommen regelmäßig zu ihm. Anfangs hat die Mutter die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, »aber heute sagt sie: „Wenn’s dir dabei gut geht, dann war’s das Richtige, in den Wald zu ziehen“.« Auch Freunde aus der Schulzeit waren schon zu Besuch und finden es spannend, was er da macht. »Die Leute denken immer, ich bin einsam, aber das ist völliger Humbug. Ich hab mehr Leute um mich als früher. Ich muss mir heute meine Zeit freischaufeln eher.« Überdies ist seine putzige Mischlingshündin Rala ständig an seiner Seite. Tatsächliches Alleinsein geht anders.
Den Odenwald nennt er gerne „Klein-Alaska“ wegen der Ruhe. »Das hier ist der schönste Ort, den ich kenne. Und man hört nur diese Stille hier oben — das hat mich sehr tief berührt. Es ist sehr ursprünglich hier und naturbelassen, und es gibt diese ganzen alten Sagen noch.« Er nennt als Beispiele den Brandschneider, die Nibelungensage und auch die Walpurgiskapelle bei Fürth-Weschnitz. Und er verweist auf den Schamanengott Odin der als Namenspate für den Odenwald gestanden habe, wie manche glauben.
Schön am Odenwald ist für Marc Freukes nicht nur der Klang der Stille, sondern auch: »Wenn man mal Zivilisation haben möchte wie etwa Kino, dann sind Mannheim, Heidelberg oder auch Frankfurt nicht allzu weit weg, und man hat Stadtleben, wenn man einkaufen will.« Er ist sich gewiss: »Das ist hier meine Heimat.«
Zu seinem Lebenscredo passt ein Zitat, von dem er selber nicht weiß, woher es stammt: »Ich hab da einen schönen Spruch hier stehen: „Und alle neuen Dinge sind aus Schutt gebaut, sodass ein ungetrübtes Auge rückwärtsblickend vorwärtsschaut.“ Da steckt viel Weisheit drin«, sagt er und fügt an: »Ich glaube, dass die Zukunft darin liegt, dass wir moderne Hilfsmittel nutzen, um den alten Lebensstil wiederzufinden. Wenn ich nur daran denke, wie lange ich gebraucht hätte, diese Hütte zu bauen mit altem Werkzeug, und wie schnell es ging mit ’ner Motorsäge!«
Der Tipianer Marc Freukes ist sicher: »Die Zukunft ist eine Mischung aus dem Alten und dem Neuen. Früher war nicht alles tutti, aber auch vieles von dem, was wir heute haben, ist nicht tutti.« Die Wahrheit liegt also wie so oft mal wieder irgendwo dazwischen.
Text: Mike Seifert
Marc Freukes
Der Odenwald Tipianer.
Schreibt, lebt & lehrt im Wald:
Naturkurse und Wanderungen
Bücher
E-Mail: marc.freukes@gmail.com
Habt Verständniss, wenn Marc nicht sofort antwortet:
Digitales Fasten ist Psychohygiene!
Mein neues Leben – Beitrag ARD Buffet
Im tiefsten Odenwald: Von der Zivilisation in den Wald.